Aus Sicht der Suchtprävention geht es nicht darum, dem Genuss zu entsagen. Im Gegenteil: Genussfähigkeit gilt als ein Schutzfaktor gegen Suchtentwicklung.
Suchtpräventionsprogramme zielen vielmehr darauf ab, einen kompetenten und situationsangemessenen Umgang mit Substanzen zu fördern.
In der betrieblichen Suchtprävention ist dabei „Punktnüchternheit“ ein zentraler Begriff.
Das Konzept der Punktnüchternheit, das mit den Aktivitäten zum „Aktionsplan Alkohol“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende der 90er‐Jahre in Deutschland verbreitet wurde, erkennt an, dass Alkohol in verantwortlichem Rahmen als Genussmittel eingesetzt wird, ohne zwangsläufig Schaden anzurichten. Es legt aber nahe, in bestimmten Situationen konsequent auf den Konsum von Alkohol zu verzichten – z.B. bei der Arbeit, im Straßenverkehr, in der Schwangerschaft oder auch bei Medikamenteneinnahme. Ziel dieses Konzeptes ist ein eigenverantwortlicher, risikoarmer und situationsangemessener Umgang mit Alkohol.
Durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) § 15(4) besteht für Arbeitnehmer/innen die Verpflichtung, „(…) sich nicht durch Alkohol, Arzneimittel oder Suchtgift in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich oder andere Personen gefährden können.“ In Bezug auf starke Berauschung und die damit verbundene Gefährdung der Arbeitssicherheit findet dieser Passus breite Zustimmung. Weniger Bewusstsein ist bei manchen Beschäftigten für die Risiken von geringen Alkoholisierungsgraden und die Bedeutung von Restalkohol vorhanden. Bereits bei einer Alkoholisierung von 0,2 Promille steigt die Risikobereitschaft, ab 0,3 Promille lässt die Konzentrationsfähigkeit nach. So wird leichte Alkoholisierung zu einem häufig unterschätzten Risiko für Arbeitsunfälle.
Um die Gesundheit der Mitarbeitenden und die Arbeitssicherheit zu fördern, setzen manche Unternehmen auf das Konzept der Punktnüchternheit. Dahinter steht mehr als ein einfaches Alkoholverbot.
Punktnüchternheit beruht vielmehr auf dem Prinzip der Selbstverpflichtung. Arbeitnehmer/innen entscheiden sich für Nüchternheit am Arbeitsplatz, weil ihnen ihre Gesundheit wichtig ist, weil sie qualitativ hochwertige Arbeit leisten wollen, weil sie die Arbeitssicherheit nicht gefährden wollen, weil Sie Vorbild sein möchten – kurz: weil sie selbst überzeugt sind, dass Nüchternheit am Arbeitsplatz wichtig ist.
Daher geht es auch nicht in erster Linie darum, Regelverletzungen zu sanktionieren oder erzieherisch tätig zu werden, sondern laufend im Gespräch zu bleiben, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Suchtmitteln am Arbeitsplatz gelingen kann und warum er Sinn macht. Bei Mitarbeiter/inne/n, denen Abstinenz nicht möglich ist, ist zu prüfen, ob der Einstieg in einen Stufenplan im Rahmen der betrieblichen Suchtprävention angezeigt ist.
Wie stehen das Gebot der Punktnüchternheit und Alkoholverbote zueinander?
Auf den ersten Blick scheinen Alkoholverbote in der Praxis leichter umzusetzen. Jeder, der gegen das Alkoholverbot verstößt, hat mit Sanktionen zu rechnen. Tatsächlich schreiben viele Unternehmen in ihren Betriebsvereinbarungen Alkoholverbote am Arbeitsplatz fest und Personen, die dagegen verstoßen, werden in einem gestuften Vorgehen motiviert, ihren Konsum einzustellen. Wird weiter konsumiert, kommt es zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen.
Gerade in großen Betrieben, mit dezentralen Strukturen und selbständig arbeitenden Einheiten sind generelle Alkoholverbote jedoch für Führungskräfte schwer kontrollierbar. Es ist unmöglich, zu jeder Zeit, an jedem Ort die Einhaltung betrieblicher Regeln zu überprüfen. Es bedarf eines hohen Maßes an Sensibilisierung und an Disziplin der Beschäftigten, den gebotenen Regeln auch ohne Kontrolle zu folgen. Und genau dies versucht das Konzept der Punktnüchternheit zu verwirklichen.
Häufig wird das Punktnüchternheitsgebot in Betriebsvereinbarungen als generelles Prinzip und als Merkmal der Betriebskultur zu Alkoholverboten ergänzt.
Punktnüchternheit ist ein ambitioniertes und herausforderndes Ziel
- Punktnüchternheit ist ein Präventionskonzept, das viel Kommunikation erfordert. Persönliche Überzeugung kann nicht verordnet werden. Beschäftigte müssen für den bewussten Verzicht am Arbeitsplatz gewonnen werden. Zwischen Motivation zur Selbstverpflichtung und Verordnen der Nüchternheit, liegt sicher ein schmaler Grat.
- Firmenleitung und Belegschaftsvertretung müssen eine gemeinsame Haltung entwickeln und im betrieblichen Alltag dazu stehen. Das setzt hohes Reflexionsvermögen, Engagement und Konsequenz voraus.
- Nicht zuletzt braucht es auch starke Vorbilder und Fürsprecher im Betrieb und eine gelebte Nüchternheitskultur im Unternehmen, über alle Arbeitsbereiche und Hierarchieebenen hinweg.
- Um Punktnüchternheit am Arbeitsplatz tatsächlich verwirklichen zu können, muss ein persönlicher Lernprozess jedes Einzelnen, aber auch ein Lernprozess der gesamten Organisation stattfinden. Das angestrebte Ideal der Punktnüchternheit kann im Laufe der Zeit zu einem Prinzip der Firmenkultur werden.
Auf dem Weg dorthin gilt es mögliche betriebliche Ursachen für Alkoholkonsum zu analysieren, das Thema in das betriebliche Gesundheitsmanagement zu integrieren und genussvolle Alternativen zu kultivieren.
Quellen:
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2011): Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Ein Leitfaden für die Praxis.
Katja Beck-Doßler: Punktnüchternheit am Arbeitsplatz. Ein überzeugendes Konzept für die betriebliche Suchtprävention? 56. DHS Fachkonferenz Sucht. Abstinenz-Konsum – Kontrolle.11.10.2016
Hand-Böckler-Stiftung (2018): Erfolgsfaktoren für die Umsetzung betrieblicher Regelungen zur Suchtprävention und Suchthilfe. Praxiswissen Betriebsvereinbarung.
Text und Grafik: Rosmarie Kranewitter-Wagner/Institut Suchtprävention Linz